Fachdienst
Psychologischer Dienst
Fragen an Dr. Dipl.-Psych. Alexandra Babioch und M.Sc Lena Wesseler vom Psychologischen Dienst.
Welche psychischen Probleme können junge Menschen mit epileptischen Erkrankungen haben?
Auch ohne eine epileptische Grunderkrankung ist das junge Erwachsenenalter ein Zeitfenster in der Gesamtentwicklung eines Menschen, das sich durch besondere Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben auszeichnet. In dieser Altersspanne müssen alle jungen Menschen die typischen Konflikte zur eigenen Identitätsfindung durchlaufen.
Dies gilt im Hinblick auf die berufliche Identität, die Geschlechtsrollenidentität, die Selbstständigkeitswerdung und damit zusammenhängend die Ablösung vom Elternhaus. Dieses dynamische Geflecht der eigenen Identitätsfindung wird durch eine bestehende Anfallserkrankung häufig zusätzlich in Bewegung gebracht.
Die Ablösung von der Familie wird aufgrund bestehender Ängste erschwert, das Gleiche gilt für die Geschlechtsrollenidentifizierung. Viele der betroffenen anfallskranken jungen Menschen haben aufgrund ihrer Anfälle Ausgrenzung und Demütigung erfahren. Ein Teil von ihnen hat Angst, alleine in die Öffentlichkeit zu gehen, da die Sorge besteht, bei einem auftretenden Anfall keine bzw. falsche Hilfe zu bekommen oder ausgelacht und diskriminiert zu werden.
Bei der Bewältigung der Herausforderungen und Entwicklungsaufgaben können Schwierigkeiten auftreten, die sich zu psychischen Beeinträchtiungen oder psychiatrischen Erkrankungen entwickeln können.
Bei ca. 15 % - 20 % sind neben den epileptischen Anfällen oder auch nur ausschließlich dissoziative (psychisch verursachte) Anfälle vorhanden. Bei dieser Art von Anfällen ist eine therapeutisch-pädagogische Unterstützung notwendig, Antiepileptika helfen bei diesen Anfällen nicht.
Weiterhin ist wissenschaftlich gut nachgewiesen, dass epileptische Erkrankungen und deren medikamentöse Behandlung mit kognitiven Besonderheiten oder psychischen Auffälligkeiten einhergehen, im Besonderen sind hier Gedächtnis- oder Konzentrationsschwierigkeiten, Depressionen und Angststörungen zu nennen.
Sind die psychischen Problematiken schon bekannt, wenn die jungen Menschen zu Ihnen kommen oder stellen Sie erst die Diagnose?
Das ist individuell sehr unterschiedlich. Manche Teilnehmende sind vor Aufnahme in das BBW sehr gut differentialdiagnostisch untersucht und behandelt worden, bei anderen gibt es vage Hinweise auf eventuelle Störungsbilder. Bei einem nicht unerheblichen Teil der jungen Menschen wird ein psychisches Störungsbild erst im BBW Bethel erkannt. Oft werden die beruflichen Rehabilitanden im Vorfeld ihrer Aufnahme ins BBW durch die Psychologinnen und Psychologen in den Agenturen für Arbeit leistungsdiagnostisch begutachtet. Diese Ergebnisse liegen uns dann ggf. auch vor.
Welche psychischen Problematiken haben die Teilnehmenden im BBW, die keine Epilepsie haben?
Die Teilnehmenden ohne Epilepsie sind hinsichtlich ihrer Persönlichkeitsstruktur und psychischer Gesundheit ähnlich heterogen. Am ehesten finden sich Selbstunsicherheit und mangelndes Selbstwertgefühl, Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen. Vereinzelt sind auch junge Menschen bei uns, die einzelne oder mehrfache psychische Auffälligkeiten haben. Als Einzelbeispiele seien erwähnt soziale Phobien, Panikattacken, Depression, Autismus, Borderline-Persönlichkeitsstörung oder ADHS.
Wie helfen Sie jungen Menschen mit psychischen Problemen?
Die Angebote des Psychologischen Dienstes, wie Einzelberatung oder Gruppenangebote, sind niederschwellig. Unsere Teilnehmenden müssen keine Psychotherapie- oder Änderungsmotivation mitbringen. Es ist auch nicht nötig, dass sie mobil sind. Die Kontaktanlässe sind in der Regel aktuelle Probleme, die psychisches Leid verursachen und sich negativ auf die Arbeit, Freizeit oder soziale Beziehungen auswirken.
Wenn die jungen Menschen an ihre eigenen Bewältigungsgrenzen stoßen, kommen wir dazu und unterstützen sie bei Problemlösungen, fördern Akzeptanz oder geben emotionale Entlastung in Krisensituationen. Wir arbeiten lösungsfokussiert, systemisch und psychoedukativ.
Falls eine berufliche Bildungsmaßnahme aufgrund erheblicher psychischer Minderbelastbarkeit nicht mehr zielführend ist, sucht der Psychologische Dienst nach alternativen Unterstützungsangeboten (z. B. stationäre Klinikaufnahme) und bahnt einen Erstkontakt an.
In Einzelfällen bzw. bei Wunsch der Teilnehmenden kann auch der Kontakt zu einer psychologischen Beratungsstelle in Bethel angebahnt werden. Diese Beratungsstelle hat als einen Arbeitsschwerpunkt „Epilepsieerkrankungen“. Der Vorteil für die Teilnehmenden liegt darin, dass diese Beratungsstelle völlig unabhängig vom BBW arbeitet. Für einige junge Menschen ist das sehr wichtig.